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Hermann
Albrecht schickt den Amok laufenden Reimann
auf die Tribüne |
Von
Ralf Weitbrecht
21. März 2004 Die Entschuldigung kam reichlich spät. Ob sie etwas
nutzt, wird sich vermutlich schon an diesem Montag zeigen, wenn der
Sonderbericht von Schiedsrichter Hermann Albrecht auf dem Schreibtisch von Klaus
Hilpert, dem Vorsitzenden des Kontrollausschusses des Deutschen Fußball-Bundes
(DFB), liegt. Der Ausraster von Eintracht-Trainer Willi Reimann, das
unbeherrschte Stoßen des vierten Mannes Thorsten Schriever - es war das alles
beherrschende Thema rund um die 0:2-Niederlage der Frankfurter Eintracht bei
Borussia Dortmund.
Erst
Heribert Bruchhagen, der Vorstandsvorsitzende, mußte den am Samstag völlig
uneinsichtigen und sich im Recht sehenden Reimann zu einer offiziellen
Entschuldigung drängen. "Ich war in dieser Situation sehr aufgeregt, und der
ganze Vorfall tut mir ausgesprochen leid", ließ der Trainer am Sonntag vormittag
verbreiten. "Ich entschuldige mich hiermit beim gesamten Schiedsrichtergespann,
insbesondere jedoch beim vierten Offiziellen, Herrn Thorsten Schriever, dem
gegenüber ich mich auch noch persönlich in aller Form entschuldigen werde."
Reimanns Verbannung auf die Tribüne des Westfalenstadions, mittelbar
ausgelöst durch den Platzverweis von Henning Bürger in der 39. Minute, fand in
der Nachbetrachtung des desolaten Eintracht-Spiels seinen vorläufigen Höhepunkt.
Ohne jegliches Schuldgefühl wollte Reimann auch nach dem Studium der
Fernsehbilder seinen Zuhörern vor laufenden Kameras weismachen, "daß ich keine
Tätlichkeit begangen habe. Der vierte Mann muß ja nicht Rambo sein." Reimann
hatte den vierten Mann außerhalb der sogenannten Coaching-Zone zweimal mit
beiden Händen gestoßen und wollte, wie er sagte, ursprünglich mit dem
Schiedsrichterassistenten sprechen. "Ich war neugierig und wollte wissen, warum
er gegen Bürger ein Foul angezeigt hatte." Verteidiger Bürger war kurz zuvor zum
zweitenmal verwarnt und damit des Feldes verwiesen worden, weil er mit seiner
Hand das Gesicht des Dortmunder Torschützen Jan Koller getroffen hatte.
Das erschreckend schwache Spiel der auf Rang fünfzehn abgerutschten
Eintracht, von den wirbelnden Dortmundern lediglich zweimal entscheidend
getroffen durch Ewerthon (23.) und Koller (80.), verkam zur Marginalie. Tags
darauf, als die Entschuldigung publik gemacht wurde, gab der
Eintracht-Vorstandsvorsitzende Bruchhagen im Fernsehen zu verstehen, "daß wir
wie die Löwen um Reimann kämpfen werden". Den Kontrollausschußvorsitzenden
Hilpert werden nur die Fakten interessieren. Harald Stenger, Mediendirektor des
DFB, sagte am Sonntag, daß man an einer schnellen Lösung interessiert sei, um
vor dem nächsten Spiel der Eintracht (am kommenden Samstag gegen den
Abstiegsmitkonkurrenten TSV München 1860) Klarheit zu haben. Drei Szenarien gibt
es, wie die Affäre Reimann ausgehen kann. Erstens: Hilpert erhebt Anklage,
erteilt ein Strafmaß, die Eintracht stimmt zu, doch Rainer Koch, der Vorsitzende
des DFB-Sportgerichts, lehnt ab und plädiert für eine mündliche Verhandlung.
Zweitens: Hilpert erhebt Anklage, die Eintracht stimmt nicht zu, Koch fällt ein
Einzelrichterurteil, das erfahrungsgemäß am Dienstag morgen zugestellt wird und
der Eintracht eine Erklärungsfrist von 24 Stunden gewährt. Drittens: Es kommt
wegen der Einmaligkeit des Vorfalls in 41 Jahren Bundesliga sofort zu einer
mündlichen Verhandlung.
Zur Verdeutlichung: In der bisherigen Geschichte der Fußball-Bundesliga hatte
ein Trainer einen Unparteiischen noch nie in dieser Form attackiert. Es gab drei
zumindest ähnlich gelagerte Fälle. Im ersten wurde im Juli 2003 der Dortmunder
Sebastian Kehl für sechs Wochen gesperrt, weil er in der Nachspielzeit
Schiedsrichter Jürgen Aust angegangen hatte. Im zweiten wurde im Mai 2000 der
damalige Aachener Trainer Eugen Hach für drei Monate gesperrt, weil er den
Cottbuser Stürmer Franklin gewürgt hatte. Und im dritten wurde der einstige
Stuttgarter Stürmer Axel Kruse im September 1993 für zehn Wochen gesperrt, weil
er Schiedsrichter Hans-Joachim Osmers nach einer strittigen Entscheidung am Arm
gezogen und zu Fall gebracht hatte.
Was Eintracht-Trainer Reimann wegen seiner Schubserei widerfahren wird, ist
gleichfalls geregelt. Hier gibt es vom Strafmaß her vier Möglichkeiten, die auch
parallel ausgesprochen werden können. Eine Tätlichkeit gegen den Schiedsrichter
kann eine Verwarnung oder einen Verweis, eine Geldstrafe von bis zu 50000 Euro,
ein beschränktes Verbot, sich während eines Spiels der von ihm betreuten
Eintracht im Innenraum des Stadions bis zur Höchstzahl von fünf Spielen
aufzuhalten, oder ein befristetes Verbot zur Ausübung der Trainertätigkeit bis
zur Höchstdauer von zwei Jahren nach sich ziehen.
Reimann, das hat sein Vorgesetzter Bruchhagen am Samstag vehement
vorgetragen, ist "Ersttäter", hatte aber einst zu Hamburger Zeiten einen
Journalisten geohrfeigt. Bruchhagen weiter: "Ich glaube nicht, daß das
Sportgericht einen über die Jahre unauffälligen Trainer von der Bank entfernt."
Die kommenden Tage werden es zeigen.
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Manfred
Amerell macht sich Sorgen |
Schiedsrichter-Zunft verurteilt Reimann
Stuttgart/München - Schiedsrichter-Sprecher Manfred Amerell befürchtet nach
dem Angriff von Willi Reimann auf den vierten Unparteiischen in Dortmund Folgen
bis in die unteren Spielklassen. "Dort nimmt die Nichtakzeptanz von Schiedsrichtern immer mehr zu. Ein Fall
wie der von Willi Reimann hat große Auswirkungen in den Amateurklassen", sagte
der 57-Jährige vom Schiedsrichter-Ausschuss des Deutschen Fußball-Bundes (DFB)
in einem Interview mit der "Stuttgarter Zeitung".
Weit weniger differenziert urteilte der frühere FIFA-Referee Wolf-Dieter
Ahlenfelder in der Münchner "Abendzeitung". "Wenn der Reimann mich so angefasst
hätte, dann hätte ich ihm eine gepflastert. Der hätte eine zurückgekriegt. So
ein Mann gehört doch auch nicht auf die Trainerbank", kritisierte der
Oberhausener mit markigen Worten den Coach von Eintracht Frankfurt und nannte in
diesem Zusammenhang auch Dortmunds Trainer Matthias Sammer: "Das sind ja nur
Bekloppte, die da rumspringen, da muss ein Psychologe ran."
Reimann muss nach seinen Schubsern gegen den vierten Schiedsrichter Thorsten
Schriever (Otterndorf) beim 0:2 in Dortmund mit einer drastischen Strafe vom
DFB-Kontrollausschuss rechnen. "Der Respekt geht eh schon gegen null, deshalb
belastet das schwer", meinte Amerell. "Am Sonntag gibt es reihenweise
Nachahmeraktionen auf den Amateurplätzen. Dann heißt es: Die in der Bundesliga
machen das doch auch."
Der frühere Bundesliga-Schiedsrichter aus Augsburg betonte jedoch, dass es
ihm nicht wichtig sei, welche Strafe Reimann erhalte. Für ihn stehe im
Vordergrund: "Solche Dinge sind tödlich. Das Schaufenster Bundesliga ist ein
unheimlicher Multiplikator für Entwicklungen im Amateurbereich und sein soziales
Umfeld." Auch für den vierten Schiedsrichter habe der Fall Reimann Folgen. "In
Zukunft brauchen wir für den vierten Mann Bleiwesten, er muss 1,90 m groß sein,
90 Kilo schwer und die Ausbildung als Türsteher vor einer Discothek absolviert
haben.".
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